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Örtliche und strukturelle Faktoren führen zum «Schluss!»

Hier lebte und überlebte eine lange Tradition: Im Haushalt- und Eisenwarengeschäft Hermann Brander AG an der Hauptgasse in Appenzell spürt man den Atem der über 170-jährigen Geschichte ...

Swissavant
Wallisellen, Schweiz

Erschienen in der perspective im August 2025


Dieser Artikel ist Teil der Serie «Stimme aus der Branche». Hier kommen Expertinnen und Experten aus der Branche persönlich zu Wort. Sie geben Einblick in branchenspezifische Entwicklungen oder nehmen Stellung zu aktuellen Themen, was zu einem besseren Verständnis der Branchenmechanismen und zur allgemeinen Innovationsförderung beiträgt. 


... Erst recht, wenn Hermann Brander humorige Episoden und Anekdoten aus der betrieblichen Vergangenheit zum Besten gibt. Aber: Hier geht sie auch zu Ende, die Geschichte des in der 7. Generation geführten Unternehmens. Man biegt derzeit auf die Zielgerade ein. Die perspective hat sich vor Ort nach Umständen und Hintergründen erkundigt. 

«Wir haben keine Nachfolge!» Damit erklärt Hermann Brander die beabsichtigte geordnete Geschäftsaufgabe. Die kurze Feststellung verleitet zu vertieften Fragen nach dem Warum und Weshalb. Dies nicht zuletzt mit Blick auf die Aufbauarbeit von sieben (!) Generationen. Woran fehlt’s genauer? 

Ein malerischer Laden mit einem blauen Schild mit der Aufschrift Hermann Brauder, bunten Blumen über dem Eingang und verschiedenen Waren wie Taschen, Küchenutensilien und Postkarten, die draußen und drinnen im Laden ausgestellt sind.

Der Eingang mit Schaufenster und Auslagen an der Hauptgasse 12 in Appenzell.

Alleinstellung ist gegeben
«Wohl nicht an den USP» meint Hermann Brander. Der Blick in den Verkaufsladen, aber auch in die Lager- und Kellerräumlichkeiten bestätigt: Es gibt hier wenig, was es nicht gibt. Das Lagersortiment alleine ist schon eine USP, Handwerk, Haushalt und Fischereibedarf sowie Souvenirs sind sehr gut bevorratet. Jedes Schräubchen und jedes Tässli ist als Einzelstück zu haben. Und als schweizweit einzigartige Spezialität führt Brander ein Sortiment an Petrollampen (Steh- und Deckenlampen) samt umfangreichem Zubehör. Ja, und nur für echte Appenzeller: Degen und Säbel, auch «Seitengewehr» genannt. Sie sind der Stimmrechtsausweis für die Landsgemeinde: «Alles immer ab Lager!» Bis vor einigen Jahren gingen auch noch Feuerwaffen und Sprengstoff über den Ladentisch.

«De Brander hät’s!»
Das enorme Lagersortiment, der Einzelverkauf und die Bevorratung auch von «Nicht-Schnelldrehern» führte in der Appenzeller Bevölkerung zur Redewendung «De Brander hät’s». Das sei zunächst natürlich Lob und Bestätigung zugleich. Aber: Dahinter stecke meist auch eine gewisse Not, sogar Verzweiflung. «De Brander» gelte oft als letzte Hoffnung, wenn sämtliche anderen Bezugsmöglichkeiten ausgeschöpft seien. Das sei als Geschäftsmodell jedoch nicht mehr tragfähig. 


«Den Ausbildnerkurs habe ich in St. Gallen gemacht. Aber wir fanden trotz mehrfacher Versuche keine geeigneten jungen Leute. Denn elementare Defizite in Deutsch, Rechnen und Schreiben können wir bei uns nicht mehr ausbügeln. Misserfolge wären unvermeidlich gewesen.»


«Das ganze Handy-Züüg …»
Die Digitalisierung der Gesellschaft hat einen enormen Wandel ausgelöst, so Hermann Brander: «Seit es Handys gibt, kommen viele Leute nur noch zum Fotografieren der Produkte ins Geschäft. Bestellt wird dann Online.» Gerade bei Elektrogeräten sei man oft nur noch für Gratis-Beratung und für Reparaturen dagewesen. Die substanziellen Verkäufe wurden selten: «Deshalb haben wir die elektrischen Haushaltgeräte ganz aus dem Programm genommen.» Der Online-Handel bereite einem kleinen Geschäft generell Mühe, weil preisgünstiger und je nach Bestellsituation auch schneller. 

Einzelgeschäfte sind für Lieferanten nicht interessant
Im Vergleich zum etablierten Handwerkerzentrum mit entsprechenden Umsätzen sieht sich der kleine Laden auch beim Einkauf im Nachteil. Namhafte Werkzeug- und Haushaltartikel-Lieferanten haben die Geschäftsbeziehungen einseitig gekappt: «Die Umsatzforderungen war für uns im gegebenen Rahmen nicht erfüllbar.» Es gab Zeiten, als Appenzell die einzige Gemeinde der Schweiz mit Sonntagsverkauf im Dezember gewesen war. «Da brauchten wir sechs Personen, um den Kundenansturm zu bewältigen.» Heute treffe man nur noch das Ehepaar Brander im Laden an, übers Jahr wie an den landesweiten Weihnachtsverkäufen: «Wir sind seit rund 25 Jahren zu zweit im Laden, Tag für Tag, auch im Advent.» – Ja, und da war da noch die Geschichte vom Stabmixer, den der Grossist nicht mehr zur Verfügung stellen konnte. Die Direktanfrage beim Hersteller wurde mit dem Tipp beantwortet, man möge doch die zwei Maschinen einfach beim Online-Händler bestellen … 

Tourismus zählt mehr als das Gewerbe
Ein weiterer Aspekt ist die Schliessung der Zufahrten zur Hauptgasse in Appenzell während der Geschäfts- und Arbeitszeiten. «Autofrei, damit die Touristen besser flanieren können!». Das hält aber die Handwerker und Landwirte vom raschen Einkauf ab, wenn sie ihre Waren erst zum entfernten Parkplatz schleppen müssen. Zudem erschwert es die Anlieferung. «Die Rechts-Einsprache unseres Gewerbeverbands hat ausser Kosten nichts gebracht. Das Wohlergehen der Touristen scheint den Behörden wichtiger als das Überleben des lokalen Gewerbes.» 

Und eben: «Die Nachfolge fehlt!»
Als Hauptgrund für das Auslaufenlassen der Geschäftstätigkeit nennt Hermann Brander die vergebliche Suche nach einer Nachfolge. Woran scheiterte sie? «Heute verdient man das Geld in anderen Jobs. Einfacher und mehr.» Den ganzen Tag im Laden stehen, am Wochenende die Buchhaltung machen, rund ums Jahr und ohne Möglichkeit für Teilzeit und flexible Freizeit – das sei heute nicht mehr attraktiv. «Mit diesem Sortiment an unserem Standort ist der Handel zur Herausforderung geworden. Wir müssen viel arbeiten, um leben zu können.» Ein Kauf-Interessent sei kürzlich da gewesen – aber er wollte nur «den leeren Laden», also die Liegenschaft übernehmen.


«Die Lieferanten-Handels-Beziehung müsste wieder von Wertschätzung und Solidarität statt vom Umsatzstreben geprägt sein. Das würde die Branche auf mittlere Sicht stärken.»


Das Resümee
In der Summe bestünden zweifellos Chancen für eine Weiterführung des Geschäfts, so Hermann Brander. Allenfalls auch mit Anpassung bei Sortiment und Dienstleistung. Und mit der Bereitschaft zu Risiko, zu harter Arbeit und zur Modernisierung gewisser Strukturen. Die Lage im Herzen des malerischen Dorfes Appenzell habe durchaus Vor- und Nachteile. Neben der Laufkundschaft gebe es auch einen Kundenstamm. Und der Tourismus habe vor allem nach der Pandemie deutlich angezogen. Aber in der Summe – insbesondere wegen dem absehbar erreichten Pensionsalter und der nicht gefundenen Nachfolge – werden Hermann und Angelika Brander in der Geschichte der Hermann Brander AG mittelfristig wohl kein neues Kapitel mehr aufschlagen. 

Kreativität und Pioniergeist – vor allem aber eines: Arbeit 

In der Firmengeschichte der Hermann Brander AG ist eine Konstante erkennbar: Der Wandel. Wandel durch neue Ideen und technischen Fortschritt, Wandel durch veränderte Rahmenbedingungen und Wandel durch gesellschaftliche Entwicklungen. Dieser letztgenannte ist es, der zum Abschluss einer erfolgreichen Firmengeschichte führen wird. Einer Geschichte, die 1854 mit dem Erwerb des Hauses «Kellersjockeli» an der Appenzeller Hauptgasse durch Jakob Anton Brander begann. Er war ein Sohn von Franz Josef Brander, der seinerseits als Schmiedemeister erstmals die Familientradition der Landwirtschaft verlassen hatte. Laut Familienchronik wurden dem Kaufpreis von 3300 Gulden noch 11 Taler Trinkgeld nachgeschoben. – Es folgten einige Generationen «Robert Brander», der heute Firmeninhaber ist der vierte «Hermann» in Folge. Der Familienname Brander geht im Übrigen auf die Landnahme und Besiedlung des heutigen Appenzeller Landes durch Brandrodungen zurück.

Begonnen als Kolonialwarenhandlung an der Hauptgasse in Appenzell, wuchs das Geschäft durch Unterkellerung und durch Zukauf einer benachbarten Liegenschaft von innen heraus. Pfeffer, Muskat, Lorbeer und Kaffee wurden um 1900 herum vermehrt von selbsthergestellten «Siedhafen» zum Aufkochen des Schweinefutters (im Lokaljargon «Sauherd» genannt) abgelöst, sowie von Holzkochherden für den Haushalt. Die Ausrichtung als Schlosserei auf Metall und Eisenwaren war damit gegeben. Es wurde mit einfachem, oft selbstgemachtem Werkzeug geschmiedet, gebohrt, gesägt und gefeilt. Eine Esse mit Blasbalg, ein Amboss, zwei Schraubstöcke und eine handgetriebene Bohrmaschine mit Schwungrad waren die wichtigsten Produktionsmittel. – Das Grundmaterial Eisen kam neben Schlössern und Beschlägen, neben Kunstschlosserei, Grabkreuzen und Geländern auch in recht aufwändigen Kassenschränken zur Anwendung. Diese stehen vereinzelt noch heute im Dienst. – Ein grosser Markt eröffnete sich mit dem Ersatz der hölzernen durch Wasserleitungen aus Eisen. Daraus entwickelte sich das Geschäftsfeld Heizung & Sanitär. – Nach einem Arbeitsunfall beim Umbau im eigenen Haus musste der Urgrossvater des heutigen Hermann kürzertreten. Er eröffnete in der Folge um die Jahrhundertwende einen Eisenwarenladen – damals «Eisenhandlung» genannt.  

Ihre Kontaktperson

Werner Singer

Werner Singer

Leiter perspective

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