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Handel im Wandel: «Vom Blaukittel zum Influencer!»

Wo steht der Schweizer Fachhandel im ersten Viertel des Jahrhunderts? Was ist? Was wird (absehbar)? Was sicher nicht? – Thomas Derrer und Daniel Dossenbach von der mamutec AG sind ausgewiesene Kenner der Szene, und Gerne-Denker dazu.

Swissavant
Wallisellen, Schweiz

Erschienen in der perspective im April 2025


Dieser Artikel ist Teil der Serie «Stimme aus der Branche». Hier kommen Expertinnen und Experten aus der Branche persönlich zu Wort. Sie geben Einblick in branchenspezifische Entwicklungen oder nehmen Stellung zu aktuellen Themen, was zu einem besseren Verständnis der Branchenmechanismen und zur allgemeinen Innovationsförderung beiträgt. 


Daniel Dossenbach (links), Geschäftsführer und Thomas Derrer, Verkaufsleitung, der mamutec AG, St. Gallen stehen der perspective in einem spannenden und pointierten Interview Rede und Antwort. Das Foto wurde während der Messe Hardware 2025 in Luzern aufgenommen.


Multiple Info-Kanäle 
Dossenbach setzt an beim Kunden im stationären Handel: «Bisher kam er mit einer Frage ins Geschäft und ging mit einer Antwort hinaus. Heute bringt die Kundin bereits beste Vorinformationen mit – Preisvergleiche inklusive.

Nun braucht es nicht mehr eine Antwort, sondern den richtigen Kick, damit sie kauft – hier und jetzt.» Dossenbach sieht den Grund für die kundenseitig hohe Vorinformation nicht zuletzt in fehlenden Fachkräften und bei der Abnahme von Verkaufsstellen. Dabei würden die Informationskanäle generationsabhängig unterschiedlich genutzt. Die ältere Generation blättere noch Prospekte und Wurfsendungen durch. Die Baby-Boomer erforschten aktiv und zielgerichtet die einschlägigen Webseiten. 


Die jungen Generationen «y», «z», «Alpha» usw. orientierten sich hingegen nicht mehr an soliden Geschäften und etablierten Marken, sondern an Idolen: «An Influencern mit Ruf, die gut präsentieren und damit Vertrauen generieren.» Ob gesponsert oder nicht, sei dabei oft unwichtig. Für Dossenbach sind diese Beobachtungen irreversibel, der Handel muss sich damit arrangieren: «Der Wandel im Resonanzverhalten auf Marketingsignale ist unumkehrbar!» Ob wünschenswert oder nicht – die Kundschaft wird digitaler und damit durch diese neue Art der Inspiration immer mehr beeinflussbar. 


«Der Fachhändler sollte seine Kunden wie ein ‹Influencer› bezirzen. Das heisst nicht, auf youtube den Kasperli machen, sondern seine Leistungen und Kompetenzen aktiv kommunizieren: Glaubhaft, ehrlich, attraktiv.»

Daniel Dossenbach 


Was wo wie kommunizieren? 
«Wir Lieferanten müssen uns überlegen, wie wir welche Botschaften wo platzieren. Was für junge Endkundinnen interessant und attraktiv ist, kann am Handel völlig vorbeizielen», ergänzt Thomas Derrer. Ganz wichtig dabei: Der stationäre Handel müsse der Kundschaft seinerseits einen handfesten Grund zum Ladenbesuch vermitteln und bewusst machen. Botschaften zu Lifestyle, Genuss und Vergnügen, spielerische Ansätze und allfälliges Schnäppchendenken mögen die junge Klientel in ihren digitalen Kanälen ansprechen. Im Fachhandel seinerseits brauche es Schulung und technisches Wissen zum Weitergeben, saubere Etikettierung und eine ansprechende Warenpräsentation. Hochprofessionelle Informationen für Industriekunden erzeugten eine zusätzliche Komplexität. Dazu gehört bei mamutec etwa die europäische Gesetzgebung zu Lieferkette und Produkthaftpflicht: «Dieses anspruchsvolle Know-how müssen wir oft direkt einbringen, auch wenn wir über den Handel verrechnen.» – Ein ganz eigenes Feld ist die digitale Content-Vermittlung. Einerseits verlangt der klassische Webshop immer mehr tiefgehende Informationen. Zum anderen soll es in den sozialen Medien auch um Unterhaltung, allenfalls um «Glanz und Glamour» gehen. – «Wie bespielen wir als Einzelmarke all diese Felder optimal?» Thomas Derrer stellt die Frage rhetorisch ... 


«Oft sind nicht das Produkt, der Verkäufer oder der Preis der Trigger beim Kauf, sondern die sofortige Verfügbarkeit.»

Thomas Derrer 


Vertrauen – wem kann man noch?
Der fachkompetente Handel mit einem schönen POS hat an Strahl- und Anziehungskraft eingebüsst – dazu herrscht Konsens. Der blaue Kittel ist nicht mehr Symbol für gute Beratung und seriöses Geschäftsgebaren. Es braucht neue und immer mehr Botschaften und Signale, so Derrer: «Wir Hersteller sind heute neben Produkt- auch Content-Lieferanten. Je zielgruppenspezifischer wir unsere Begleitbotschaften zubereiten und vermitteln, desto eher werden sie wahrgenommen und mit Vertrauen belohnt.» Man erreiche die Menschen fast nur noch über einfache Aussagen: Grafiken, bewegte Bilder und Töne: «Lesen ist out – selber Denken mitunter ein hoher Anspruch!» Deshalb würden Influencer oder KI vermehrt auch Beratungstätigkeiten übernehmen. 


Thomas Derrer sieht immer mehr Marketing-Forderungen auf die Hersteller zukommen. «Die bisherige Rollenteilung zwischen Industrie als Lieferant und Handel als Marktbearbeiter löst sich auf. Die gegenseitigen Ansprüche steigen.» Ja, und die Bezugsquellen werden vielfältiger: Stationärer Handel mit oder ohne Webshop, der reine Online-Handel, das Ausfährtli über die Grenze oder die Web-Bestellung im nahen Ausland bis hin zur Päckliflut von Billigstprodukten chinesischen Ursprungs. Aktuell setzt auch noch die stationäre Nonfood-Discountkette «Action» zum Sprung aus Holland in die Schweiz an: Die Möglichkeiten sind fast unendlich und Kundentreue oft nur noch ein Fremdwort. «Der Zugriff auf Produkte war noch nie so einfach, das Wartenkönnen noch nie so schwierig.» Die Frage für Lieferanten UND Handel ist also knifflig – Daniel Dossenbach stellt sie: «Wo und wie können wir in dieser Vielfalt unseren Platz bestmöglich finden und behaupten?» 

 

Daniel Dossenbach sammelte seine Vertriebserfahrung in grossen und kleineren nationalen und internationalen Unternehmen, so auch in den Branche Eisenwaren und Grünbereich. Er versteht sich als Digitalisierer, Techniker und effizienzgetriebener Vordenker mit Blick fürs Ganze. Vor allem eines will er kompromisslos sein: «Zukunftsgerichtet!» 

Thomas Derrer sieht seine Stärken primär im klassischen Kundenkontakt, in der Betreuung und Gestaltung von POS und Markenauftritt sowie in der Pflege der geschäftlichen Beziehungen. Dossenbach und Derrer ergänzen sich somit in der strategischen Weitsicht und beim operationellen Tagesgeschäft der mamutec AG. 

Das international aktive Unternehmen engagiert sich seit über 160 Jahren in der Produktion und im Vertrieb von Seilen, Ketten und Drahtseilen. Es ist in 14 Ländern aktiv. Insgesamt rund 40 Mio. Meter Seil verlassen jährlich die Produktionsstätten in der Schweiz, in Deutschland und in Ungarn. 250 Mitarbeitende fertigen mit über 250 Flecht- und Webmaschinen ein kundenorientiertes Sortiment von mehr als 10 000 Produkten. Die mamutec AG besitzt mehr als 30 Patente und beliefert über 3200 Kunden. Die mamutec AG führt den Claim «swiss» im Logo.

 

Ihre Kontaktperson

Werner Singer

Werner Singer

Leiter perspective
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